Obwohl ich vorher noch nie in Casablanca war, war mir die Stadt, waren mir ihre Menschen vertraut. Mein Vater hatte uns ein Zimmer in einem luxuriösen Hotel organisiert, wovon der Direktor ein Freund meines Vaters zu sein schien. Er stellte uns natürlich für die Zeit einen Chauffeur zur Verfügung, der uns später nach Fes und dann nach Marrakesch und schliesslich zurück nach Casablanca brachte.
Meine Mutter war sehr dünn, und ich stritt mich dauernd mit ihr. Anfangs versuchte meine Schwester noch zu vermitteln, ich weiss nicht mehr, worum es ging, ich war dreizehn. Ich würde schwören, unser Chauffeur hiess Mustapha. Als ich mitten auf der Strecke zwischen Fes und Marrakech tierisch Bauchschmerzen hatte, hat er mir Joghurt mit viel Zimt beschafft, ich fand's nicht lecker. Und, nachdem wir stundenlang durch die Wüste gefahren waren, liess er mich nur pfiffig heissen Pfefferminztee schlürfen, während ich zum Selbstbedienungskühlschrank mit eiskalter Cola schielte. Ich merkte nicht, dass mir mein Vater fehlte, ich wusste nur, dass Mustapha ein Freund ist, einfach so.
In Fes wurden wir vom Direktor des damals in ganz Afrika auf Luxusrangliste Nummer eins stehenden Hotels Palais Jamaii in unser Zimmer geführt. Anschliessend gab er uns einen Rundgang, welcher die Räumlichkeiten des Königs miteinschloss. Alle Wände der Suite Royale waren komplett mit Mosaiken bestückt, farblich harmonisch, im maurischen Stil. Abends habe ich zum ersten Mal Schafshirn in Tomatensauce gegessen, weich wie Butter, sehen konnte ich in dem stark abgedunkelten, im landestypischen Stil gehaltenen Hotelrestaurant nicht viel. Es war eine braune Tonschale, mit Tomatensauce befüllt. Ich glaube, es hat gut geschmeckt. In der Medina von Fes habe ich mich in den Orient verliebt. Auch dieses Chaos war mir heimisch. Die Esel in den Engen Gassen, Händler an Händler in den bunten Ständen, viel Bewegung, viel Lärm - das gefiel mir!
In Marrakech schliefen wir natürlich im Hotel Mammounia, den Residenzen des Königs folgend. Hier habe ich weitere Marokkaner kennengelernt, Jungs. Sie waren älter als ich und lümmelten am Hotelpool herum. Mein excellentes Pingpong Spiel imponierte ihnen. Als ich mich beim Tischfussball nur noch steigerte, mussten Sie mich näher kennenlernen. Unglaublich, wie wertvoll es sein kann, schon in jungen Jahren fliessend Französisch zu sprechen! Anschliessend lernten sie auch meine bildschöne Schwester kennen, woraufhin sie uns zum angesagtesten Restaurant Marrakeschs zum Abendessen einluden. Als wir abgereist sind, sind sie extra zum Abschied zum Hotel gekommen, und ich empfand es als nette Abwechslung, dass sie mich auf die Wange küssten und meiner Schwester - bildhübschen Schwester - die Hand hinstreckten. Der Tee auf der Dachterrasse über dem Marktplatz, als die Sonne rot leuchtend unterging, das lässt sich heute wahrscheinlich in jedem Reiseführer nachlesen. Nur, dass wir damals fast die einzigen Fremden zu sein schienen.
Als wir zurück in Casablanca waren, sind wir noch einen Tag an den lang auslaufenden, flachen Stadtstrand, welcher voll mit Leuten mit vielen Kindern war. Und wieder war es mir ein leichtes, innert kürzester Zeit andere Jungs kennenzulernen. Sie luden mich zum Fussball hin- und herkicken ein, wobei der Ball möglichst nicht den Sand berühren sollte. In kürzester Zeit wurde mir bewusst, dass die andern des öfteren auf diesem brütend heissen Sand Fussball spielen, sie schienen nämlich nichts an ihren ledrigen Füssen zu spüren. Da hiess es für mich einfach nur auf “ich spür nix” stellen und hoffen, dass es langsam weniger wird. Es brannte jedoch immer heftiger. Beobachtungsgabe war nie mein Forte, unter Schmerzen registrierte ich jedoch, dass ein anderer Junge dauernd den Sand mit den Füssen leicht zur Seite wischte, um auf dem kühleren Sand zu stehen. So viel kühler war er nicht, aber immerhin!
Wenig später zog meine Mutter nach Venezuela, meine Schwester ging nach Japan, mein Vater war in Zürich, und ich im Internat.