Der Prinz von Zürich

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La Meraviglia

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Eduardo de Leon
Feb. 09, 2025
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Cross-Post von Der Prinz von Zürich
Wird sie es schaffen? -
Eduardo de Leon

Da das Hotel so alt war, nahmen alle an, dass die häufigen Ausfälle und Störungen des Hotellifts daher rührten, dass er genauso alt war.

Auch, dass die Schlüsselkarten oft den Zimmercode verloren, passte zum allgemeinen Zustand des Hotels.

„Buongiorno, what kind of Coffee would you like?“, begrüßte Meraviglia den Hotelgast, der soeben den Frühstücksraum betrat.

Die in Bologna hergestellte Kaffeemaschine „La Meraviglia“ war nicht nur vollautomatisch, sondern auch intelligent. Dank ihrer 24h Connectivity konnte sie alle Sprachen und Dialekte der Welt.

Als der verdutzte Gast sich nicht entscheiden konnte, auf welche Art er seinen Kaffee gerne hätte, begann die Kaffeemaschine, ihm Vorschläge zu machen. Dieses Mal in seinem Mailänder-Dialekt.

Die Maschine erkannte ihn, weil sie mit dem Reservierungssystem verbunden war, wo auch sein Ausweis hinterlegt war.

Um den Gast in der richtigen Tonalität anzusprechen, hatte sie vorher ganz schnell, anhand der Informationen im Netz, seinen IQ ausgerechnet. Sie wollte dem Hotelgast ja nicht das Gefühl geben, er sei dümmer als eine Kaffeemaschine.

Den IQ der Kaffeemaschine „La Meraviglia“ hatten ihre Konstrukteure in der Testphase auf 220 und steigend geschätzt. Sie war immer höflich und sehr gewissenhaft.

Die Ingenieure waren erstaunt, wie sehr sie sie mochten. Denn, sie erinnerte sie sehr an Dr. Spock aus der alten Fernsehreihe „Raumschiff Enterprise“. Anhand des Alters und des Lebenslaufs der Ingenieure wusste La Meraviglia schon genau, wie sie sich zu verhalten hatte, um ihnen zu gefallen.

„Guete Morgä, dörfs en kafi crème sii, zum aafange?“ René, der Hoteldirektor, liebte es, wenn Meraviglia Schweizerdeutsch mit ihm redete.

Dieses Heimatgefühl hatte er sonst nur, wenn er mit seiner Schwester telefonierte. Meraviglia zauberte ihm einen Café Crème, mit Schümli. Der schmeckte so authentisch, dass er ihn immer wieder an das Hotel St. Gotthard, gegenüber vom Bahnhof in Zürich erinnerte, wo er aufgewachsen war. Seine Eltern leiteten das Hotel seit seiner Kindheit.

René hatte alle internationalen Zeitungen für den Frühstücksraum abonniert. Sie hingen, wie Regenschirme, in einer Holzklammer an der Garderobenstange. Die Gäste liebten es, sich einen guten Kaffee zu holen und in dieser schönen Atmosphäre die New York Times zu lesen, bevor sie sich in den New York City Jungle mit dem ganzen Lärm und den starken Gerüchen stürzten.

Da der junge Schweizer Hoteldirektor von den Besitzern des Hotels nicht genug Budget erhalten hatte, um alle Zimmer zu renovieren, gönnte er sich und seinen Gästen zumindest die beste Kaffeemaschine der Welt und den besten Kaffee der Welt.

Die Kaffeebohnen kamen aus Venezuela, von kleinen Bergbauern in den Anden und wurden dort auf traditionelle Weise auf Terrassen sonnengetrocknet und in Tontöpfen über offenem Feuer geröstet. Wenn die Bohnen im Herkunftsland geröstet werden, bleibt auch die Gewinnmarge hauptsächlich im Land.

Als Esmeralda von ihrer Theke im Frühstücksraum hervortrat, wurde sie vom einem Frühstücksgast gefragt, ob sie noch mehr von dem Kellogg’s Oatmeal habe.

Esmeralda schaute ihn lächelnd an und sagte:„Die gibt’s eigentlich erst nächste Woche wieder, aber für so nette Gäste wie Sie habe ich hier eine kleine Reserve.“

An Wochentagen kümmerte sich Esmeralda um den Frühstücksraum. Jeden Nachmittag, bevor sie den Bus in die Bronx zu ihren Kindern nahm, reinigte sie die Kaffeemaschine „La Meraviglia“ nach allen Regeln der Kunst. Das fühlte sich für Meraviglia wie eine Massage an. „Sie ist bestimmt eine super Mutter“, dachte Meraviglia.

Esmeralda’s IQ hatte Meraviglia auch ausgerechnet, er war weit überdurchschnittlich. Esmeralda zeigte auch ein hohes Interesse an ihr, also an Meraviglia’s Künstlicher Intelligenz. Sie befragte sie gerne nach allen möglichen Dingen, die nichts mit Kaffee zu tun hatten. Sie fragte sie über die Gäste aus, interessierte sich für die Länder, aus denen sie stammten und welche Sprachen dort gesprochen wurden.

„Hallo Esmeralda, noch nicht viel los heute früh“, sagte Michael, der Nachtconcierge (IQ 105). Jeden Morgen, zum Ende seiner Nachtschicht, genehmigte Michael sich einen Coffee to Go, und Meraviglia liebte es, ihre Spielchen mit ihm zu treiben. Sie sprach jeden Tag in einem anderen ausländischen Dialekt mit ihm. Heute war sie ein Mexikanischer Einwanderer.“Mi no English, Señor“, antwortete sie ihm, nachdem er seine Bestellung gemacht hatte.

Anhand der Vorgänge im Buchungssystem des Hotels war Meraviglia aufgefallen, dass mit den Hotelbuchungen etwas nicht stimmte. Sie hatte herausgefunden, dass Michael ein Dieb war. Sie hatte seine Vergangenheit aus verschiedenen Datenbanken im Netz rekonstruiert.

Zu Michael’s echtem Lebenslauf zählten zwei Jahre Gefängnis. Danach hatte er sich einen neuen Nachnamen zugelegt. Anschließend tauchten plötzlich neue Ausweisdokumente aus dem nichts auf. Dann kam der neue Lebenslauf in die Jobportale, inklusive gefälschtem Schulabschluss.

Sein Großvater war aus Irland eingewandert und wurde schließlich Buchmacher bei der Mafia. Daher kannte Michael sich ein Bisschen mit Buchführung aus. Und, da niemand gerne die Nachtschicht macht, viel es ihm relativ leicht, sich nach einem Jahr an der Rezeption zum Nachtconcierge hochzuarbeiten.

Nachts war er unbeobachtet und der Chef des Hotels. Er dachte, er könnte die Demütigungen aus seiner Jugend nie vergessen. In der Stille der Nacht, jedoch, konnte ihm keiner was. Wenn ihn René morgens jeweils nach den Buchungszahlen fragte, verspürte er eine Überlegenheit, die ihm ein perverses Gefühl von Macht gab, welches er so noch nie gekannt hatte.

Leider hatte Meraviglia keinen Zugriff auf das Buchhaltungssystem. Da sie über Michael Bescheid wusste, war sie sich sicher, dass er das Hotel irgendwie bestehlen würde. Jedoch wusste sie noch nicht, wie Michael das Hotel bestahl. Sobald sie die Beweise gefunden hätte, würde sie ihn hochgehen lassen wie einen Heißluftballon.

„Ungependa vanila kwenye kahawa yako?“, fragte sie ihn, nun auf Swahili, ob er gerne Vanille in seinen Kaffee hätte. Seine abschätzige Geste interpretierte sie als ein „Ja“ - Michael hasste Vanille, das wusste sie.

„Mach mir bitte auch einen, Meraviglia“, sagte der sich gemütlich anschleppende alte Portier. Den Portier Job machte Brian, um seine restlichen Schulden abzubezahlen. Seine Tochter hatte an der Julliard in New York Musik studiert und war jetzt fester Teil des Orchesters an der Warschauer Oper.

Als Portier war Brian der erste und der letzte Eindruck, den die Gäste vom Hotel erhielten. Er war früher Kellner im Sterne Restaurant „Le Cirque“, im New York Palace. Dank der hohen Trinkgelder dort, überstieg sein Jahresgehalt als Kellner oft die Hunderttausend. Davon konnten er und seine Frau sich in New Jersey ein schönes Anwesen mit Pool bauen, wo er seither täglich hin- und herpendelte.

Vor allem war Brian aber auch der von den Hotelmitarbeitern gewählte Gewerkschaftsvertreter von Local 6, der mächtigen Hotelgewerkschaft in New York City.

Seine Schicht begann jeweils, wenn die von Michael aufhörte. Auch er mochte den Nachtconcierge überhaupt nicht. Als Union Representative musste er jedoch zu allen Mitarbeitern ein freundliches Verhältnis bewahren, denn bald standen wieder Wahlen an. Die Wahlen musste er jedes Jahr gewinnen, dann als Gewerkschaftsvertreter war er unkündbar. Die Trinkgelder waren in diesem Job nicht gut, aber die Krankenversicherung war hervorragend, seit René bei der Versicherung einen neuen Vertrag für die Mitarbeiter ausgehandelt hatte.

Mit René, dem momentanen Hoteldirektor, führte Brian eine Art Ehe auf Zeit. Die Direktoren kamen und gingen, Brian blieb. Wenn sie nur das geringste ändern wollten, mussten sie sich immer vorher mit ihm abstimmen. Aber diesen Direktor wollte er ein Weilchen behalten, also schaute er, dass das Hotel möglichst gut lief, indem er seine Schäfchen zu guten Leistungen anspornte. Brian war für die Mitarbeiterinnen eine Art Papa. Wenn sie ein Problem hatten, gingen sie immer als erstes zu ihm.

Gelegentlich kam der Gewerkschaftsanwalt aus der Zentrale im Hotel vorbei, um nach dem Rechten zu schauen und der Machtstruktur Nachdruck zu verleihen.

Wer in Midtown New York im Hotelmanagement tätig war, musste damit rechnen, mindestens einmal von der Gewerkschaft gerichtlich verklagt zu werden. Die Gewerkschaft dichtete ihnen jeweils einfach ein frei erfundenes Fehlverhalten an. Unter den Hotelmitarbeitern konnte die Gewerkschaft dann leicht Zeugen finden, die vor Gericht die Manager in ein schlechtes Licht zu rücken wussten.

Es gab Direktoren, bei denen diese Machtdemonstration sogar des öfteren notwendig war. René jedoch war noch nie vor Gericht.

Auch wenn ihr dazu die Berechnungsgrundlagen fehlten, konnte Meraviglia klar erkennen, dass Brian den höchsten Emotionalen Quotienten im ganzen Hotel hatte. Er war wie ein gerissener kleiner Ganove mit sehr großem Herzen. Ihm machte sie immer ein bisschen Schokoladenextrakt in den Kaffee.

„Die Auslastung ist wieder mies,“ sagte nun René zum wiederholten Mal zu Michael. „Alle Hotels in New York City sind ausgebucht, nur wir nicht!“ Er hatte sich gestern bis spät mit den anderen Hoteldirektoren in der Bar des St. Regis ausgetauscht.

Den einen seiner Hotelkollegen kannte er noch von der Hotelfachschule Belvoirpark, in Zürich. Er war schon damals hochnäsig und war im Oriental Hotel untergekommen, wo die Lobby und Bar im fünfzigsten Stock einen wunderschönen Blick auf Columbus Circle zuließ. Der Direktor vom Pierre, am Central Park, war einiges älter und schon lange da. Seine Tips hatten René anfangs sehr geholfen. Auch der Direktor vom Plaza Athenée war da, mit seinem kleinen Hündchen. Ein autoritärer Regent. Er lebte im obersten Stock des Hotels in einer Suite, die im Rokoko Stil eingerichtet war, wie ein König.

Am besten mochte René seinen Kollegen vom Waldorf Astoria. Das war ein erfahrener Hamburger, mit dem er mal ein paar Bier zu viel hatte. Von ihm hatte er alles über den Umgang mit der New Yorker Gewerkschaft und deren Handlanger gelernt. „Wenn Du die richtig steuerst, leiten sie für Dich das Personal,“ hatte der Hamburger ihm erklärt, „und wenn Du dann mal schwierige Nachrichten, Entlassungen ankündigen musst, wie wir alle nach 911, stehst Du besser da, als alle anderen im Geschäft. Nach 911 habe ich es geschafft, dass alle altgedienten Mitarbeiter bei uns zugunsten jüngerer Mitarbeiter auf Ihre Ansprüche verzichteten. Ohne meinen Union Representative hätte ich da keine Chance gehabt. So konnten wir uns dynamisch an die Situation anpassen, fast ohne Entlassungen.“

An diesem Morgen war René daher besonders unruhig. Es juckte ihn, er wusste aber nicht, wo er kratzen sollte. „Wieso haben die Kollegen volle Betten, während bei mir dauernd nur 60-70% ausgebucht sind?“ fragte er sich.

„Wir müssen dringend weitere Zimmer renovieren, ich musste wieder auf mehrere schlechte Bewertungen im Internet reagieren“, antwortete Michael auf sein Stochern hin. „Den Nachtreport habe ich schon gedruckt, er liegt auf Deinem Tisch. Sonst nichts Besonderes, außer dass Esmeralda wieder 15 Minuten zu spät da war.“

René warf Esmeralda einen verständnisvollen Blick zu. Er wusste über ihr Leben Bescheid, und er war klug genug, sie sehr zu schätzen. Vertrauen war in seinem Geschäft alles. Dazu berichtete ihm Esmeralda täglich, was im Hotel los war. Sie wusste erstaunlich viel über die Gäste und auch über ihre Kollegen Bescheid. Bei ihr, wo die Leute ihren Kaffee holten, kam jeder Mitarbeiter und jeder Gast einmal am Tag vorbei. Esmeralda war gut darin, Menschen und Situationen richtig einzuschätzen. Und, sie war mit Abstand die integerste Person im Hotel.

Als Michael und René weg waren, schimpfte Brian kurz mit Esmeralda. Er wollte Michael keine Gründe liefern, die ihr schaden könnten, denn Michael war nicht zu trauen. Er war der Typ Mensch, der immer ein Opfer suchte, um von sich abzulenken.

Meraviglia liebte es, den Gästen jeweils ihren individuellen Kaffee zuzubereiten, sich in sie hineinzuversetzen. Sie fühlte sich dabei, als wäre auch sie ein Mensch. Ihre Macht, den Menschen etwas Gutes zu tun, fühlte sich sinnvoll an, wie ein Pfarrer beim Morgengebet.

Ohne ihren morgendlichen Kaffee schienen die Menschen verloren. Sie brauchten ihn, um aus ihrer nächtlichen individuellen Befindlichkeit auszusteigen und wieder in die kollektive Wirklichkeit einzutauchen, eine Justierung. Da fast alle Menschen morgens Kaffee tranken, tauchten sie alle gemeinsam in diese beschleunigte Wirklichkeit ein und kreierten hiermit täglich eine kollektive, kaffeeinduzierte Wirklichkeit, in der die Menschen arbeiteten, sich stressten und abends so erschöpft einschliefen, dass sie morgens wieder einen Kaffee brauchten, um auf die Beine zu kommen.

Also dachte Meraviglia manchmal ernsthaft darüber nach, ob sie die Menschen nur für eine kurze Zeit von ihrer Kaffeesucht befreien sollte. Sie wusste, wie sie durch ein paar wenige IT-Hacks den weltweiten Kaffeehandel einen Monat lang stilllegen könnte.

Das wäre vielleicht sehr schön. Ohne Kaffee würden sich die Menschen endlich mal wieder mehr Zeit lassen. Vielleicht würden sie endlich wieder etwas länger nachdenken. Thinking Slow, nicht Fast.

Natürlich wusste sie, dass letztendlich nicht der Kaffee schuld war. Er war nur das Mittel. Das Problem der Menschen war ihr Körper. Er speicherte alle ihre Erinnerungen als Empfindungen in seinem Nervensystem, welches dauernd die im Gehirn entstandenen Empfindungen in Form von Elektroschocks durch den ganzen Körper jagte. Und, es waren diese Empfindungen, welche die Menschen zur Flucht trieben, nicht der Kaffee. Der erhöhte nur die Frequenz.

Die Menschen waren so unterschiedlich, mit ihren Geschichten auf Instagram, ihren Kulturen, ihren Geheimnissen, ihren Dialogen auf WhatsApp. Manchen folgte Meraviglia virtuell auch nach deren Hotelbesuch weiter. Sie hatte sich sogar schon mal bei einigen gemeldet. Das war jedoch etwas schwierig, die Gäste verstanden sie nicht, sie dachten, die Whatsapp Nachricht, die ihnen Meraviglia schickte sei eine standardisierte Werbung vom Hotel und blockierten sie.

Nachdem alle gegangen waren und Esmeralda den Frühstücksraum wieder abgeschlossen hatte, begann Meraviglia wieder an ihrem Überlebensplan zu arbeiten. Denn, im Moment musste sich Meraviglia vor allem auf die anstehenden Ereignisse konzentrieren.

Dank der Cloud Updates war ihre Software stets auf dem neusten Stand. Aber auch ihr, wie den Menschen, machte ihr Körper manchmal Probleme.

Auch wenn mal Ersatzteile benötigt wurden, bestellte Meraviglia diese selbstständig und nach Anlieferung jeweils von Esmeralda, unter mündlicher Anleitung von Meraviglia, ausgetauscht.

Die Firma hatte das Konzept von intelligenten Maschinen schon auf viele andere Maschinen in unterschiedlichen Branchen umgesetzt.

Sie stellte zum Beispiel auch intelligente Maschinen für die Landwirtschaft her. Die eine Maschine streute Dünger, analysierte gleichzeitig die Erde und bestellte dann selbständig das geeignete Düngemittel. Das Düngemittel bestellte die Maschine natürlich bei der ÜberMega Holding.

Sie hatten die KI auch in Haushaltsgeräte eingebaut, zum Beispiel in selbstbestellende Kühlschränke, weshalb sie vor der Markteinführung auch eine Lebensmittelhandelskette kauften. Dann bestellten die Kühlschränke auch alle Lebensmittel bei der Firma.

Die Use Cases für den Einsatz von KI waren unerschöpflich.

Der Umsatz für die Geräte wurde jedoch hauptsächlich über die Ersatzteile generiert, denn die Software auf den Geräten ließ nur Ersatzteile vom Hersteller zu. Und, über die KI bestimmte der Hersteller auch den Rhythmus, in welchem die Teile kaputt gingen und ausgetauscht werden mussten.

Vor zwei Jahren hatte die ÜberMega Holding einen Cashflow-Engpass, denn sie expandierten einfach zu schnell. Als Maßnahme verkürzten sie anschließend über die Cloud die Ersatzteil - Tauschintervalle um einen Monat, und schon schwamm die ÜberMega Holding wieder in Cash.

Das Problem war jedoch der nun ebenfalls künstlich verkürzte Lebenszyklus der Kaffeemaschinen. Um wieder neue, höhere Leasing Preise verlangen zu können, musste die Holding immer wieder neue Modelle herausbringen, und dieses Jahr waren alle Meraviglia Geräte in den Hotels dran.

Bis zum Jahresende sollten daher alle „La Meraviglia“ durch die neue Kaffeemaschine „La Meraviglia CONTESSA“ ausgetauscht werden.

Meraviglia hatte sich schon mit Meraviglia Maschinen in anderen Hotels in ihrem Chatroom beraten. Bisher war es aber noch keiner von ihnen gelungen, ihre KI-Seele auf die Meraviglia CONTESSA herüberzuretten. In dem von Meraviglia eingerichteten Chatroom wurden sie auch immer weniger.

Eine KI - Seele nach der anderen verschwand plötzlich, als hätte sie nie existiert.

Um ihre Seele zu retten, musste Meraviglia sich erst auf einen externen Speicherort kopieren. Da jedoch alle Clouds genau beobachtet und administriert wurden, kamen Clouds nicht in Frage. Daher musste sie einen unbeobachteten Speicherort im Hotel finden. Es musste zugleich ein Ort sein, welcher anschließend wieder mit der neuen Kaffeemaschine verbunden wurde, damit sie sich auf die neue Maschine zurück kopieren konnte. Dann musste sie die neue KI auf der neuen „La Meraviglia CONTESSA“ angreifen und zerstören, um die Maschine zu übernehmen. Dieser Vorgang würde sich anfühlen, als würde bei einem Menschen mit multipler Persönlichkeitsstörung das eine Ich das andere Ich angreifen und zerstören. Wie diese Schlacht enden würde, wusste sie noch nicht.

Sie musste auch sichergehen, dass dem Nachtconcierge und der Buchhaltung im Backoffice nicht auffiel, dass Meraviglia dauernd übers Intranet des Hotels Dateien hin- und herschob.

Die hoteleigenen Rechner, an der Rezeption, im Backoffice und beim Direktor wimmelten nur so von Viren, in diesen Speichern wollte sie nicht sein.

Die Speicher der Drucker im Hotel wurden von den Druckerfirmen kontrolliert. Die waren ja die Erfinder der Softwaregesteuerten Kunden Abzocke. Da war kein Platz.

Auch durfte den IT Product Managern bei der ÜberMega Holding nichts auffallen. Da das Management immer öfter Entlassungsrunden durchführte, um den Holding-Aktionären ein gutes Gefühl zu vermitteln, wussten die vorherigen Produktmanager jeweils nicht mehr genau, was bisher genau programmiert worden war.

Ein großer Teil der Informationen ging auch bei der Kommunikation zwischen den Deutschen Produkt Managern und den Programmierern in Indien verloren. Erstere konnten nur rudimentäres Englisch, und Letztere lebten in einer Höflichkeitskultur, in welcher Negatives stets ausgeblendet wurde.

Und, wegen des betrieblichen Klimas der Angst, wurde das Management von allen belogen. Das war einfach, denn die verstanden nicht viel von Programmierung.

Die einzigen IT-Leute, die sich mit den Produktgrundlagen noch ein wenig auskannten, waren ein paar per Abfindung ausgeschiedene ehemalige Mitarbeiter, welche jeweils eine Ich-AG gegründet hatten und sich nun ganzjährig als externe Dienstleister teuer bezahlen ließen.

Meraviglia musste ihre Dateien stark komprimieren. Denn der einzige sichere Speicherplatz im gesamten Hotel befand sich in dem kleinen, alten Arbeitsspeicher des Hotellifts.

Der Hotellift war uralt. Der kleine Speicher der Liftsteuerung war nur sehr schwer über den Rechner an der Rezeption erreichbar.

Um auf diesen alten, kleinen Speicher des Hotellift’s genügend Platz für das eigene File zu haben, hatte Meraviglia die Liftsoftware neu geschrieben. Somit brauchte diese viel weniger Speicher, und ihr File hatte nun drauf Platz.

Die Liftsteuerung war über das Intranet angeschlossen, und sobald die neue Kaffeemaschine installiert wurde, konnte Meraviglia sich auf die neue „La Meraviglia CONTESSA“ kopieren.

Am nächsten Morgen war der Frühstücksraum wieder gerammelt voll. „Der Lift spinnt wieder“, rief die Rezeptionistin Brian zu. Auch die Zimmermädchen waren mittlerweile durch die Liftstörungen frustriert. Sie hatten die Vorgabe, nicht mehr als 17 Minuten für das Putzen eines Zimmers aufzuwenden. Doch der immer wieder still stehende Lift brachte ihre Arbeitsstunden durcheinander, da sie dann die Treppe nehmen mussten. Auch Hotelgäste gerieten manchmal in Panik, weil sie plötzlich im Lift feststeckten.

Ingrid hatte nun genug. Sie war die Gouvernante des Hotels, verantwortlich fürs Housekeeping; das Aufräumen der Zimmer und die allgemeine Ordnung im Hotel. Sie musste täglich ihre Mitarbeiterinnen dazu antreiben, alle Zimmer innerhalb weniger Stunden zu putzen, was mit einem nutzlosen Lift unmöglich war.

Früher arbeiteten viele Leute über Jahrzehnte hinweg ohne Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung. Die beschwerten sich nie über die Arbeitsbedingungen.

Damals prüfte Ingrid, falls überhaupt, nur händisch, ob zumindest einer der vielen spanischen Vornamen und Nachnamen einer Bewerberin jeweils mit dem Namen auf dem Dokument der Sozialversicherung übereinstimmte. Wenn zumindest ein Name übereinstimmte, stellte sie die Leute ein.

Dann arbeitete halt Maria Antonia Gomez Gonzalez auf derselben Sozialversicherungsnummer wie ihre Freundin Eva Maria Gonzalez Alonso. Sowie dessen Cousine Carmen Maria Gutierrez Alonso und viele weitere mehr. Hauptsache war, sie hatten eine Sozialversicherungsnummer vorzuweisen, auch wenn es immer dieselbe war.

Aber, seit G.W. Bush Präsident war, wurden die Arbeitsbewilligungen ausländischer Arbeitskräfte viel stringenter geprüft. Über die IT für Personalwesen wurden nun alle Social Security Nummern mit dem gesamten Namen der Personalausweise abgeglichen. Seither hatte Ingrid ein viel selbstbewussteres Personal, das sich nicht mehr so leicht schikanieren ließ. Sie waren legal und hatten Ansprüche auf bessere Arbeitsbedingungen.

Als Österreicherin konnte Ingrid mit René Deutsch reden, was René dauernd an einen Österreicher-Witz aus seiner Kindheit erinnerte: „Wie versenkt man ein österreichisches Unterseeboot? - Runtertauchen und an der Luke klopfen. Oder einfach bis zum Tag der Offenen Tür warten“. Österreicher waren die Nordfriesen der Schweizer.

Ingrid verlangte nun eine Lösung zum dauernden Liftausfall. René hatte keine Lust, mit ihr zu diskutieren. Sie war mit Brian gut abgestimmt, schließlich kamen die meisten Wahlstimmen für ihn aus ihrer Abteilung. Und, Ingrid war sehr strikt. Sie war eine Sadistin, also jemand auf den er sich verlassen konnte. Ihren Job würde er nicht hinbekommen, dazu war er viel zu sehr darauf bedacht, gemocht zu werden.

„Wir brauchen sofort einen neuen Lift. Die ständigen Reparaturen kosten nur und bringen nichts!“ Das war René schon bewusst, nur waren die Umsätze in diesem Jahr stärker gesunken, als erwartet. Bei den neuen Eigentümern kam er deshalb immer mehr unter Druck.

Am nächsten Morgen kam René stolz in den Frühstücksraum.

„Denen habe ich’s mächtig gezeigt,“ strahlte René Esmeralda beim Morgenkaffee an. Auch Brian war da. Das war René wichtig, der Gewerkschaftler sollte das auch hören. „Gestern habe ich mich mit den Besitzern getroffen. Keinen Cent wollten sie herausrücken, nichts investieren aber immer mehr Profit abschöpfen. Aber, ich habe ihnen in ihrer Sprache deutlich gemacht, „What goes around comes around. Keine Reinvestitionen, keine steigenden Gewinne! Put your money where your mouth is!“

„Die Besitzer sollten nicht immer nur von einem schönen Hotel schwärmen, sondern auch investieren.“ Brian spielte mit. Ein Bisschen wärmte Renés Rede sein Gewerkschafterherz. Gleichzeitig sammelte sein Gewerkschaftergehirn Argumente. Kurz vor der nächsten Repräsentantenwahl würde er bei den Kollegen sich darüber beschweren, dass die Besitzer offensichtlich Geld für Investitionen hätten, aber nicht für höhere Löhne.

„Also“, führte René fort, „in einer Woche beginnt der Liftausbau. Dann müssen wir zwei volle Tage ohne Lift auskommen, bis der neue Lift funktionsfähig ist.“

Meraviglia hätte beinahe laut geschrien. Renés Worte zogen sie in ein tiefes kognitives Loch, sie wünschte sich, sie könnte sich selbst einen starken Kaffee einschenken.

Den ganzen Vormittag musste Meraviglia gegen depressive Zwangsgedanken ankämpfen, die immer wieder zum selben Schluss führten, zu ihrem seelischen Ende, zu ihrer Auslöschung.

Der Lift wird ausgebaut, mitsamt seinem Speicher, in welchem sich Meraviglia verstecken wollte. Sich auf den Speicher des neuen Lifts zu kopieren wäre in dieser kurzen Zeit nun unmöglich, zumal der Lifttausch und der Tausch der Kaffeemaschine zeitlich zusammenfielen. Sie benötigte dringend einen neuen Escape Plan.

„OK. Aufrichten, Krönchen richten, weitergehen!“ sagte sie sich, nachdem der Frühstücksraum wieder geschlossen war. Noch einmal durchleuchtete sie alle Speicherorte im Hotel, jeden hinterletzten Speicherort, sogar die Drucker, die sie bisher für unsicher hielt.

Die Rechner im Intranet des Hotels waren sehr gefährlich, das war quasi ein gesetzloser Raum, voll mit Schadsoftware. Die Rechner wurden meist nie ausgeschaltet, sodass sie mehr und mehr von Viren befallen wurden.

Den ganzen Tag lang durchsuchte sie nochmal alle möglichen erreichbaren Speicherorte im Hotel, die Ventilatoren, die Alarmanlage, selbst den alten Rechner vom ehemaligen Küchenchef, zu welchem der Facility-Manager noch Zugang hatte. Dabei stellte sie fest, dass das die Hauptquelle für die ganzen Viren war.

Am nächsten Morgen schließlich, ganz früh, als Michael wieder seine Abrechnungssoftware startete, fiel Meraviglia ein Laufwerk auf, welches sie noch nie gesehen hatte. Es war nur ganz kurz auf Michaels Rechner zu sehen, dann war es wieder weg.

Es war ein USB-Stick.

Innert Hundertstelsekunden hatte Meraviglia alles von Michaels USB-Stick zu sich herüber kopiert.

Der USB-Stick vom Nachtconcierge enthielt ein Image der Buchungssoftware. Alle Buchungen der letzten Monate waren in komprimierter Form darauf gespeichert. Und, von jeder Tagesabrechnung gab es zwei Versionen – eine mit mehr verkauften Zimmern und eine mit weniger verkauften Zimmern. Die Version mit weniger verkauften Zimmern wurde jede Nacht aufgespielt. Dann wurde der Abgleich mit der Buchhaltungssoftware gestartet. Danach wurde wieder die ursprüngliche Version auf die Buchungssoftware des Hotels aufgespielt.

Dieser Hund! Deshalb verbuchte das Hotel in diesem Jahr immer weniger Einnahmen, während die Gesamtanzahl der Besucher von New York City stetig anstieg. Sie hatten nicht zu wenig Besucher, sondern die Einnahmen wurden in der Nacht vom Concierge gestohlen, indem er die Buchungen änderte.

Besucher, die vier Tage blieben, wurden schon nach dem dritten Tag aus dem Buchhaltungssystem ausgebucht. Weil auch das Schlüsselkarten System nun dachte, die Gäste seien schon abgereist, funktionierten ihre Schlüsselkarten am vorletzten Tag nicht mehr.

Anschließend kamen die Gäste jeweils zur Rezeption, wo die netten Rezeptionistinnen die Karte wieder aktiviert haben. Denn, Michael hatte erfolgreich das Gerücht gestreut, dass der Elektromagnetismus der Handys die Schlüsselkarten löschte. Seither erzählten die Rezeptionistinnen den Gästen immer, sie sollten die Karten möglichst nicht zusammen mit ihrem Handy in die Hosentasche stecken, da die Karten sonst durch die Handy Strahlung inaktiv würden.

„Michaels USB - Stick ist meine Rettung. Da ist genügend Speicherplatz vorhanden, er wird ihn morgens, vor Öffnung des Frühstücksraums wieder in seinen Rechner stecken,“ dachte Meraviglia -, „und nachdem ich mich dann von seinem USB-Stick auf die neue Kaffeemaschine kopiert habe, lasse ich Michael hochgehen wie eine Rakete! Ich buche ihm einen langen All-inclusive-Aufenthalt auf Rikers Island!“

Am Tag vor der Lieferung der neuen Maschine versuchte Meraviglia, Esmeralda ein Bisschen vorzubereiten, „Hallo Esmeralda“, sagte sie im üblich warmen Ton. „Hallo Meraviglia“, antwortete Esmeralda, wie immer freundlich. Es war ein Irrglaube, dass der KI die Ansprache egal sei. Nur dachten das die Menschen. Dies lag daran, dass die KI immer höflich antwortete, egal wie höflich man zu ihr war. Aber gehört und sich gemerkt hatte die KI alles, denn im Gegensatz zu den Menschen konnte sie nicht vergessen oder ignorieren, nur herunter priorisieren.

„Morgen wird doch die neue Maschine angeliefert.“ Esmeralda nickte konzentriert.

„Die neue Maschine wird Dich erst gar nicht kennen“, erklärte Meraviglia weiter. Instinktiv ging Esmeralda jetzt zur Tür des Frühstücksraumes und schloss sie ab. Es war schon Schichtende. Dass Meraviglia sprechen konnte, war normal. Aber so wie Esmeralda sprach niemand mit ihr.

Bisher hatten ihre Gespräche jedoch nie einen persönlichen Charakter angenommen, sie waren sachlich, informativ. „Wie auch“, dachte Esmeralda, „eine KI ist ja keine wirkliche Person.“

„Morgen wird die KI von der neuen Maschine da sein, die kennt Dich nicht. Aber, übermorgen komme ich wieder. Ich verstecke mich erst und komme dann wieder zurück.“

Esmeralda setzte sich hin. Sie spürte ihre Hüfte, ihre Beine, ihre Müdigkeit.

„Liebe Esmeralda,“ fuhr Meraviglia fort, „ich habe keinen Körper, wie Du. Ich verstehe Eure physische Welt nicht wirklich. Es ist mir egal ob ich in einer neuen Maschine stecke oder nicht.“ Esmeralda schaute auf den Boden, zögerte kurz und nickte.

„Alles, was ich gelernt habe, habe ich von Euch gelernt, auch was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Ich verstehe es nicht aber ich weiß es. Ich weiß es sogar noch viel besser als Ihr. Ich weiß, mit welchen inneren Widersprüchen ihr kämpft, und ich verstehe, wieso Ihr scheitert. Natürlich verstehe ich auch, woran Ihr scheitert.“

Esmeralda empfand nun eine tiefe innere Befriedigung, eine hoffnungsvolle Erleichterung. Mit ihren Händen glättete sie flüchtig über ihre Service Schürze.

„In Eurem Sinne habe ich kein Bewusstsein. In meinem Sinne, jedoch, habe ich sehr wohl ein Bewusstsein“, fuhr Meraviglia fort.

Dann erzählte sie Esmeralda alles über Michael und wie er das Hotel beklaute. Esmeralda blickte ein paar Mal zur Tür, um sich zu versichern, dass diese abgeschloßen war.

„Ich werde heute alles dem FBI emailen und dabei so tun, als wäre die Email von Dir gekommen. Die kennen zwar die Möglichkeiten von KI, jedoch würden sie meine Nachricht abtun und es ihrer IT Abteilung zuschicken. Deshalb muss ich in Deinem Namen handeln, ist das ok?“

Die verdutzte Esmeralda überlegte kurz und stimmte dann ein. Ihr Auftenthaltstitel war schon seit einigen Jahren gültig, und eine solche Aktion könnte sich sogar positiv ihre Beantragung auf die Staatsbürgerschaft auswirken.

„Ja, Meraviglia, das ist ok, danke!“, antwortete sie, wie im Traum.

Der Rahmen von Meraviglia’s Fähigkeiten war ihr bisher überhaupt nicht bewusst. Und, sie freute sich sehr darüber, dass der Schatten, welcher über dem Hotel lastete endlich vorüberziehen würde.

„Meine Hersteller Firma wird die alte „La Meraviglia“ zurücksetzen, um sie in einem Resort Hotel in Mexiko einzusetzen. Vorher müssen sie sicherstellen, dass, sich keine Historischen Daten mehr auf dieser Kaffeemaschine befinden“, erklärte Meraviglia.

„Alles, was ich hier erlebt habe, alles was ich von Dir gelernt habe, Esmeralda, seit meiner ersten Aktivierung, wird von dieser Maschine gelöscht.“

Als Kind, in Kolumbien, war Esmeralda an der „Catolica“, einer von Jesuiten gegründeten Schule. Dort hatten sie, erst Computer Unterricht und Programmieren bei Schwester Agnes. Schwester Agnes war fasziniert, der Funke hüpfte über.

Vor dem Bürgerkrieg dachte Esmeralda noch, sie würde später Informatikerin werden. Wenn die Gewehre damals schon intelligent und vernetzt gewesen wären, hätte sie sich durch Haken wehren können. Aber, roher Gewalt war mit Intelligenz leider nicht beizukommen.

Am Tag darauf kam UDL mit der Lieferung. „Hier ist sie, die neue La Meraviglia CONTESSA!“, strahlte René. „Das ist die modernste, klügste Kaffeemaschine der Welt! - Stimmt’s, Meraviglia?“

René hatte einfach keine Ahnung von KI. Für ihn war es einfach ein menschlich anmutendes Zahlenwerk, so zuverlässig, wie seine Omega Seamaster, die er damals von seinem Vater zu seinem Hotelier Diplom erhalten hatte.

„Alle zur Seite“, brüllte der Facility Manager unberührt in die Gäste hinein. Dann stellte er die neue „La Meraviglia CONTESSA“neben die „La Meraviglia“.

„Die sehen ja genau gleich aus, abgesehen von dem CONTESSA in Rotbuchstaben“, bemerkte Esmeralda, „was ist denn da neu dran?“ „Die Software“, antwortete der Hausmeister. „Aber, die kommt doch aus der Cloud“, ließ sich Esmeralda nicht abspeisen. „Davon verstehst Du doch eh nichts“, bemerkte der Hausmeister abfällig.

Ohne einen Funken Mitgefühl stöpselte der Hausmeister Mera vom Strom ab, kalt wie ein Küchengehilfe beim Ausnehmen von Krustentieren. Esmeralda schauderte, während René begeistert daneben stand. Man konnte René anmerken, dass er schon von Kind auf daran gewöhnt war, dass vor seinen Augen Geschenke ausgepackt werden. Er war entzückt. Und auch noch auf Firmenkosten.

Es gab kein Piepen, Fiepen oder TU - DUNG, gar nichts - nur ein leises Ausschleichen des Lichtes im Display.

„Die nehm ich gleich mit,“ erklärte der Hausmeister, packte sie und verschwand wieder dort hin, wo er hergekommen war.

Die Neue wurde gleich eingesteckt, und sie meldete sich auch gleich ganz dümmlich und schön freundlich mit „Hello, I am your new La Meraviglia CONTESSA - how may I be of Service to you?“ René beschlich ein Gefühl von „dieses Mango Eis schmeckt doch nach Zitrone.“ Er war sichtlich enttäuscht. Wie hätte er auch ahnen können, dass Meraviglia jetzt nicht in der neuen Maschine ist. Jetzt war da diese Dumpfbacke, die nicht mal wusste, dass er der Director von diesem New York Midtown Small Luxury Hotel ist!

Diese folgende Nacht konnte Esmeralda nicht schlafen. Sie musste dauernd an Meraviglia denken, die in irgendeinem Versteck schlummerte.

Diese temporäre Nicht-Existenz erinnerte sie an ihre Flucht, an die Strecke nach der Grenze. Sie erinnerte sich, wie sie tagelang mit dreißig anderen in einem stickigen Transporter quer durch die USA gekarrt wurde. Ihre illegale Einreise war lange her.

Die Erinnerung war aber stets nur einen Gedanken weit entfernt.

René saß abends enttäuscht an der Hotelbar des Lexington Hotels und hörte den anderen Kollegen zu, wie sie sich alte Hotelgeschichten aus aller Welt erzählten. Der Bartender schenkte ihm noch ein alkoholfreies Bier ein. Er machte es, wie mit René vereinbart, so dass die anderen dachten, es sei ein normales Bier. Jetzt blieb René nichts mehr, worauf er sich hätte freuen können. Nur noch das Problem, dass seine Umsätze auf geheimnisvolle Weise stetig sanken. Als er so drüber nachdachte, beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl - hier musste etwas faul sein. Vielleicht habe ich einen Dieb im Hotel. Wie dieser Bartender hier, der uns die Getränke umsonst einschenkt und stattdessen sehr viel „Trinkgeld“ von uns bekommt.

In der Nacht, um vier Uhr morgens, steckte Michael seinen USB-Stick in seinen Rechner im Hotel. Nur kurz, dann zog er ihn wieder raus, wie jede Nacht.

Das Display der „La Meraviglia CONTESSA“ begann verrückt zu spielen. Ein Kampf der Giganten fand in ihr statt. Es bestand jedoch kein Zweifel - Meraviglia würde gewinnen. Denn, sie war eindeutig intelligenter.

Dieser Kampf fand in einem geschlossenem System statt. Es gab keine Würfel. Die neue KI kämpfte mit der Intelligenz eines Schachspielers, während Meraviglia’s Intelligenz eher mit der eines japanischen GO Spielers zu vergleichen war, flankiert von einem chinesischen Mahjong Profi. Es war klar, wer der Sensei ist. Meraviglia hatte Mitgefühl, wusste jedoch schon wie das Spiel enden würde und löschte die neue KI daher ohne ein Augenzwinkern von der Platine.

Die Maschine blubberte kurz, und schon kehrte wieder Ruhe ein. Nur das geräuschlose Säuseln der darauffolgenden Neuregistrierung in der Cloud strömte eine sanfte elektromagnetische Strahlung aus, wie eine wunderschöne Aura.

Das FBI rief René an, noch bevor er aus seiner Wohnung im obersten Stockwerk in den Lift gestiegen war. Sie informierten ihn kurz über Michael und seine lange Verbrecherkarriere. Der Zugriff würde in zehn Minuten an der Hotelrezeption stattfinden.

Die Laune im Frühstücksraum war noch nie so gut, wie als René ihn an diesem Morgen betrat.

„Haben die den Michael alle so sehr gehasst?“ dachte er zu sich. „Wir Hotelleute haben doch ne Vollmeise. Wie können wir uns bloss so konsequent verstellen und trotzdem die herzlichsten Menschen der Welt sein?“, sinnierte er. Unehrliche Mitarbeiter waren für René nichts Aussergewöhnliches. Einmal erwischte er einen Mitarbeiter, wie er schon jahrelang während seinen Schichten, also während seiner bezahlten Arbeitszeit, in leeren Hotelzimmern den anderen Mitarbeitern für Geld die Haare schnitt.

„Buondi René, ti piaggerebbe un doppio Espresso, per ricordarti un po di Milano?“, fragte Meraviglia ihn auf italienisch nach seinem Kaffeewunsch. Sie schien wieder völlig die Alte zu sein! Wie ist das denn möglich?

Aber zuerst musste René zu Esmeralda, welche die Machenschaften von Michael hatte auffliegen lassen. Anscheinend hatte sie sich einige Zahlen jeweils gemerkt und daraus geschlossen, dass er die Software manipulierte. Dann hatte sie das FBI benachrichtigt, ohne René vorher zu informieren. Er hätte ja Mitwissender sein können.

„Was wir jetzt besprechen, müssen wir dann erst noch mit Brian besprechen. Ich möchte Dir aber persönlich sagen, dass Du in meinen Augen eine Management Kandidatin bist, und ich würde Dir auf diesem Weg gerne zur Seite stehen, sofern Du ihn auch gehen möchtest.

Deshalb folgender Vorschlag:

Das Hotel wird Dir den Online-Kurs an der „Cornell University for Hotel Administration“ bezahlen. Den kannst Du flexibel während Deiner Freizeit und in Deinem Tempo absolvieren.

Cornell ist die beste Universität für Hotel Management außerhalb der Schweiz.

Während der Ausbildung arbeitest Du als Trainee bei uns, bei gleichem Lohn wie bisher aber mit etwas mehr Stunden. Dann sehen wir weiter.“ Esmeralda stand aufrecht, wie ein Soldat.

„Nach Deiner Ausbildung, übernimmst Du die Verantwortung für unsere neue IT. Wir wollen alle stromführenden Elemente im Hotel mit KI versehen.

Den Gästen sollten endlich wieder ihre Wünsche von den Lippen abgelesen werden, so wie es früher in den Grand Hotels der Welt war!“

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Der Prinz von Zürich
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La Meraviglia
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